Naumburger Meister im Dom zu Meißen

Unter dem Namen „Naumburger Meister‘ fasst die Kunstgeschichte eine Künstlerwerkstatt zusammen, die in der Mitte des 13. Jahrhunderts berühmte Meisterwerke u.a. in Naumburger Dom schuf. Die Gruppe von Bildhauern, Steinmetzen und Baumeistern brachte die hochgotische Kunst Frankreichs nach Mitteldeutschland.

  • ...mehr über den „Naumburger Meister“

    Nach den Bildwerken im Naumburger Dom nennt man den Hauptakteur den ‚Naumburger Meister‘. In seiner letzten Schaffensperiode war die Werkstatt von etwa 1250 bis 1270 im Dom zu Meißen tätig.                              

    Zum Meißner Ensemble gehören sieben Figuren: das Stifterkaiserpaar Otto I. und seiner Gemahlin Adelheid sowie die Schutzpatrone Bischof Donatus und der Evangelist Johannes im Hohen Chor sowie die drei Plastiken mit Wandgestaltung der Achteckkapelle. Des Weiteren gehören die Blendarkaden über dem Chorherrengestühl und die Reliefarbeiten am Lettner zu ihrem Werk. Zum Markenzeichen der Werkstatt wurden die naturnahen Blattkapitelle.

     

  • Achteckbau

    Mit seinem wohldurchdachten Raumkonzept, den großartigen Skulpturen und der reichen Farbigkeit gehört der Achteckbau zu den schönsten Werken der gotischen Architektur in Deutschland. Die drei Figuren – die Muttergottes mit dem Christuskind, Johannes der Täufer und ein Engel wenden sich an den Eintretenden und sind, wie der ganze Raum, herausragende Zeugnisse der Kunst des „Naumburger Meisters“.

    Mit dem Achteckbau, eingefügt zwischen Querhaus und Südseitenschiff, erfanden die Meißner Bauleute eine Portallösung, die in der Architekturgeschichte einmalig ist. Das turmartige Gebäude auf achteckigem Grundriss enthält im Erdgeschoss eine Portalvorhalle und im Obergeschoss eine Kapelle. Die Abfolge der Türöffnungen und Wandfelder ist ebenso durchdacht wie die Erschließung des Obergeschossraums über einen integrierten Wendelstein.

    Die Eingangshalle ist ein Raum von erlesener Schönheit. Obwohl die acht Wandflächen unterschiedliche Funktionen erfüllten, wirken sie sehr einheitlich. An den drei nach außen gerichteten Seiten waren offene Arkaden ausgebildet, durch die man früher den Dom betrat. In der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden diese Domzugänge jedoch geschlossen. Während an der Nord- und Ostseite gleichartige Türen ins Südseitenschiff und ins Querhaus führen, sind die Diagonalseiten mit Blendarkaden versehen. Die Wandgliederung mit vorgesetzten Säulen und Kapitellen erinnert an den Westlettner des Naumburger Doms. Deshalb besteht kein Zweifel, dass Entwurf und Ausführung auf die Naumburger Werkstatt zurückgehen.

    In den Blendarkaden stehen drei überlebensgroße Sandsteinfiguren: links ein Engel, rechts Johannes der Täufer und in der Mitte eine Muttergottes mit dem Jesuskind. Die Naumburger Werkstatt schuf diese Bildwerke zwischen 1260 und 1270 für diesen Standort. Dabei ist ungewiss, ob der Meister selbst daran beteiligt war oder seine Mitarbeiter und Schüler die Arbeiten ausführten. In Ausdruck und Haltung wirken die Figuren ruhiger als ihre älteren „Geschwister“ im Domchor.

    Die mit Laubwerk geschmückten Kapitelle wurden von unterschiedlicher Hand gearbeitet. Die Bildhauer versuchten, die in der Natur vorkommenden Pflanzen möglichst detailgetreu abzubilden. Einige Kapitelle sind von herausragender Qualität. So ist ein Kapitell mit feinstem Efeulaub bedeckt. Selbst die hauchdünnen Stile der Efeublätter wurden aus Stein gehauen. Die Portalvorhalle erhielt eine reiche Architekturfarbigkeit von virtuoser Gestaltungskraft. Die Raumwirkung beruhte auf dem Vierklang von Hellrot und Hellgrün, der natürlichen gelbbraunen Farbe des Sandsteins und dem kräftigen Blau der Gewölbekappen.

    Weitere kunstvoll gearbeitete Kapitelle aus der Werkstatt des Naumburger Meisters finden sich in der Kapelle im Südwestturm (Marienkapelle).

     

  • Lettner

    Der Lettner trennt als steinernes Bauwerk das Kirchenschiff vom Chor und damit den Bereich des Kirchenvolks von jenem Allerheiligsten, das nur die Priester betreten durften. Lettner gab es früher in allen mittelalterlichen Dom- und Klosterkirchen, doch sind sie nur selten erhalten geblieben.

    Der Lettner ist im Zusammenhang mit dem Chorbau begonnen worden. 1266 wurde von dem Kreuzaltar der Meißner Bischof Albert II. beigesetzt. Unter seiner Aufsicht setzte die Naumburger Werkstatt den gotischen Domneubau fort, den sie um 1250 unter Bischof Konrad I. begonnen hatte: Auf dem Lettner befindet sich eine erhöhte Bühne, die man für liturgische Handlungen nutzte. Nach der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde diese Lettnerbühne erweitert. Der heutige Zustand des Lettners war um 1400 erreicht.

    Der Meißner Lettner gleicht nicht dem Westlettner des Naumburger Doms. In Naumburg befindet sich der Durchgang zum Chor in der Mitte, während in Meißen zwei seitliche Pforten angelegt wurden. Der Kreuzaltar vor dem Lettner war ursprünglich mit einem steinernen Baldachin bedeckt, den man um 1350 abtrug. Im Unterschied zu Naumburg ist vom Meißner Lettner kein figurenreiches Bildprogramm erhalten. Die Details der Architekturgliederung beweisen allerdings, dass der steinerne Einbau von der Naumburger Werkstatt geschaffen wurde. Hinzuweisen ist auf die filigranen, außerordentlich lebendig wirkenden Blattkapitelle. Bei der Darstellung einheimischer Pflanzen - vom Wein bis zum Ahorn - wurde hier eine nicht mehr zu übertreffende Naturtreue erreicht.

     

     

  • Hoher Chor und Chorgestühl

    Der Meißner Domchor zeigt Architekturformen, die in der Mitte des 13. Jahrhunderts als modern und richtungsweisend galten. Die Naumburger Werkstatt brachte die neuartigen Bauideen aus dem französischen Kronland mit. Der Chor wirkt schlank und aufstrebend. In den Ostteilen ist das Sandsteinmauerwerk auf das Notwendigste beschränkt. Die Chorfenster füllen die Wandfelder vollkommen aus. Damit unterscheidet sich der Meißner Chor vom Naumburger Westchor, der eine ältere Entwicklungsstufe gotischer Architektur repräsentiert. Der hohe und zugleich sehr tiefe Chor entfaltet sich in drei Raumteilen: Im Osten erhebt sich das Chorpolygon mit dem Hochaltar. Nach dem eingeschobenen Zwischenjoch, das die Standbilder der Bistumspatrone und -stifter enthält, folgt das sechsteilig gewölbte Hauptjoch, in dem die Domherren und Vikare das Chorgebet vollzogen. Das Chorgestühl wird von einer steinernen Rückwand begrenzt. Dieses sogenannte Dorsale ist mit Blendbögen und einer Baldachinreihe verziert.

    Die Kapitelle des Dorsales sind von erlesener Schönheit. Wie im Achteckau und am Lettner schmückten die Bildhauer die Architekturglieder mit Pflanzendarstellungen, die sich genau botanisch bestimmen las- sen. Abgebildet sind Wein, Hopfen, Ahorn, Eiche, Efeu, Beifuß, Feige, Rose und Zaunrübe. Die Blätter, zu denen sich manchmal auch Blüten und Früchte gesellen, heben sich plastisch vom Bildgrund ab und wirken dadurch außerordentlich lebendig. Da verschiedene „Laubmacher“ beteiligt waren, ist die Qualität der Bildhauerarbeiten sehr unterschiedlich.

    Bei der Verteilung der Pflanzen ist keine bestimmte Ordnung zu erkennen. Doch haben alle Gewächse eine symbolische Bedeutung. So deutet der Wein auf Jesus Christus hin, der sich selbst als Weinstock und seine Jünger als Reben bezeichnete. Im Zusammenhang mit der Eucharistie, der Wandlung von Wein in Blut beim Abendmahl, steht der Wein für das Opfer Christi für die Menschheit. Beifuß und Zaunrübe galten als Heilkräuter, während Hopfen und Efeu als rankende Kletterpflanzen Treue und Beständigkeit zum Ausdruck bringen.

     

     

  • Chorfiguren: Stifter und Patrone

    In die Chorarchitektur gliedert sich ein besonderer Raumabschnitt mit ockerfarben gefassten Gewölberippen ein. Nach den dort aufgestellten Stifterfiguren wird er „Stifterjoch“ genannt. Der Naumburger Meister schuf um 1260 für diese Raumzone vier überlebensgroße Bildwerke. In prunkvolle Gewänder und Mäntel gehüllt, stehen die Meißner Chorfiguren, anders als die Naumburger, vor glatten Wänden. Das ermöglicht ihnen, sich freier zu entfalten als die architekturgebundenen Stifterbilder in Naumburg. Hervorzuheben ist der gefühlsbetonte Gesichtsausdruck der Bistumspatrone und -stifter.

    An der Nordwand sind die Stifter des Doms Kaiser Otto I. und seine zweite Gemahlin Kaiserin Adelheid zu sehen. Die Figuren an der Südwand stellen Johannes den Evangelisten und Bischof Donatus dar, denen der Dom geweiht ist.

    An der Südwand des Chores sind mehrere Steinmetzzeichen zu erkennen. Die Bauleute verwendeten einfache Bildzeichen (Herz, Kreuz, Blatt, Hammer) oder Buchstaben (A, T, W) oder setzten ihre Signaturen aus kleinen Ritzlinien zusammen. Bei der Erfassung der Steinmetzzeichen am Naumburger Westchor und am Meißner Domchor konnte eine weitgehen- de Übereinstimmung dieser individuellen Signaturen festgestellt werden. Man kann davon ausgehen, dass ein großer Teil der am Naumburger Westchor beschäftigten Bauleute nach Meißen zog, um hier den Domchor auszuführen.

     

  • Allerheiligenkapelle

    Die Allerheiligenkapelle war der Kapitelsaal des Domkapitels. Bis ins späte Mittelalter kamen hier die Domherren zu ihren Beratungen zusammen. Das Bauwerk wurde um 1290 der Chorpartie des Meißner Doms angefügt. Zugleich plante man einen Kreuzgang, der in seiner heutigen Form allerdings erst 200 Jahre später in spätgotischer Gestalt ausgeführt wurde.

    Die Allerheiligenkapelle zeichnet sich durch eine äußerst schlichte, stark reduzierte Baugestalt aus. Sie erhebt sich auf rechteckigem Grundriss und hat glatte, ungegliederte Wände. Die starke Einfachheit erinnert an die Baukunst der Zisterzienser, weniger an die raffinierten Raumlösungen des Naumburger Meisters. Der Bildschmuck allerdings lässt den Einfluss der Naumburger Werkstatt erkennen. Die acht Konsolen und die drei Schlusssteine des Gewölbes sind mit Reliefs verziert. Den Darstellungen liegen biblische Texte aus der Offenbarung des Johannes zugrunde, die man zum Allerheiligenfest las. Der mittlere Schlussstein zeigt Jesus Christus als von Ewigkeit zu Ewigkeit regierenden Herrscher. Die ihm zugeordneten mittleren Konsolen mit den Evangelistensymbolen beziehen sich auf die in der Offenbarung genannten vier Wesen, die den Thron Gottes tragen. Die Gestalten in den Ecken des Raumes stehen für die vier Elemente.

    Am Schlussstein im westlichen Gewölbejoch finden wir die Zaunrübe abgebildet, die als Motiv schon am Lettner und an den Chorwänden auftauchte. Sie symbolisiert die Heilkraft. Im übertragenen Sinne ist die für uns Menschen erlösende und heilsame Botschaft des auferstandenen Christus gemeint.

    Da die Allerheiligenkapelle in nachreformatorischer Zeit als Getreidelager genutzt wurde, sind die meisten Konsolen stark beschädigt. Gut erhalten ist die Darstellung des Elements Erde, ein Mann mit einem Gesteinsbrocken.